Das Ende ist wichtig in allen Dingen. Ich habe diese Zeile aus einem sehenswerten Film von Jim Jarmusch: Ghost Dog: Der Weg des Samurai. Forest Whitaker spielt darin die moderne Version eines Samurai, der sich streng an den Ehrencodex – das Hagakure – hält. Es geht mir aber nicht um den Inhalt des Films, sondern um den Gehalt des Zitats. Ein für viele sehr schwieriges Jahr geht zu Ende und es stellt sich die Frage: was endet?
Nun: offensichtlich hält sich die Geschichte nicht an einen Kalender. Was uns dieses Jahr beschäftigt hat, wird uns auch weiterhin beschäftigen. In der Wirklichkeit erleben wir immer nur Übergänge. Das Ende, absolut gedacht, wäre der Tod, und auch den „erleben“ wir nicht. Es ist ein gedanklicher Ausweg aus dem Element der Vernichtung, das dem Gedanken des „Endes“ innewohnt, sich daran zu erinnern, dass es kein absolutes Ende gibt, nur den Übergang in etwas Neues. Und doch machen wir die Erfahrung, dass Dinge enden, dass etwas zu Ende geht. Aus Anlass des Jahresendes daher ein Versuch, das Ende zu denken.
Das Ende passiert nicht; es wird gemacht. Darin liegt seine Schwierigkeit und seine Macht. Eine Sache zu vernichten, einem Ding die Existenz zu nehmen, liegt nicht in unserer Macht. Kein Atom im Universum geht je verloren. Ein Buch das wir verbrennen ändert seine Form, aber auch wenn es so aussieht - es kann sich nie in „Nichts“ auflösen.
Ebenso Geschichten. Keine Geschichte die wir erzählen oder niederschreiben endet von selbst. Die Kunst der guten Geschichte liegt darin, im Anfang das Ende mitzudenken. Es zählt, wie wir aufhören wollen und enden werden. Das Ende bildet den Rahmen, der das Bild entstehen lässt. Auch die „Unvollendete“ ist was sie ist durch ihr Ende.
Und die Liebe? Wer tiefer fühlt weiß es: auch die Liebe endet nicht, sie wandelt sich. Das kann bedeuten, dass wir in Beziehungen ein Ende machen, machen müssen. Aber die Liebe bleibt bestehen; auch sie löst sich nicht in „Nichts“ auf.
Alles kommt darauf an, wie wir das Ende gestalten. Darin liegt unsere Macht. Auch die schlimmste Geschichte wandelt ihre Bedeutung im Happy End. Die schönste Liebe wandelt sich nachträglich in die tiefste Hölle, wenn das Ende misslingt. Leben lernen hieße in dieser Hinsicht: Weisheit in der Setzung des Endes. Wissen, wann es Zeit ist aufzuhören und Wissen, wie wir würdigen was zu einem Ende kommt.
Philosophische Lebenskunst ist die Kunst des gelungenen Abschlusses.
Comments