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Trauma im Film: Der Fuchs

Jedenfalls kann ein Wesen, das „nein“ sagt und die Erfahrung des Nichts kennt, auch die Vernichtung wählen.

Rüdiger Safranski: Das Böse oder das Drama der Freiheit.


Das Nein, das Nichts und die Vernichtung: sie gehören zusammen. Für Safranski steht diese nihilistische Trias im Zentrum der menschlichen Freiheit, als Schlüssel zum Verständnis des Bösen. Das Nein ist aber auch der Schlüssel zum Verständnis von Trauma. Wenn ich meinen Nächsten verneine, kann das eine Vernichtung bedeuten, es wird etwas zunichte gemacht, es entsteht eine Leere, ein Nichts. Je sinnloser und umfassender dieses Nein, je sensibler und vorbelasteter der Verneinte, desto tiefer das Trauma.


Für Safranski ist das Nein der Preis der Freiheit und die Grundlage des Bösen. Für die Traumatologie ist das Nein die Grundlage der Traumatisierung. Um traumatisch wirksam zu werden, muss sich das Nein an ein Gegenüber wenden, an meinen Nächsten. Auch wenn es denkbar ist, dass der andere dieses Nein internalisiert und zu einem Nein zu sich selbst macht, geht es bei der Erfahrung des traumatisierenden Nein um ein Geschehen, das sich zwischen Menschen ereignet. Das Nein, das ich zu mir selbst sage, ist hingegen immer auch in Schwebe, es bleibt die Möglichkeit zum überschreitenden Ja.

Anders im Dialog. Das Nein zum andern, zu seinen Möglichkeiten und zu unserer Verbindung kann absolut und irreversibel sein. Dieses Nein kann ein Schicksal bestimmen, denn wo Trauma war, wird Trauma sein, bis es geliebt, weitergegeben oder mit ins Grab genommen wird. Vor allem die Möglichkeit ein Trauma zu übertragen, ist für den hier praktizierten existenziellen Blick auf die Liebe von großer Bedeutung. In diesem Fall wird das Nein zu mir zum Nein zu dir. Dieser Transfer löst den Bann der Vernichtung auf der einen Seite, allerdings um den Preis der Traumatisierung auf der anderen Seite.


Damit sind wir beim Film „Der Fuchs“ angelangt. Der Inhalt ist schnell erzählt. Ein Junge wird aus seiner Familie verstoßen, zieht als Erwachsener in den Krieg und freundet sich dort mit einem Fuchswelpen an, dessen Mutter in einer Falle getötet wurde. Soweit die Rahmenhandlung. Das Entscheidende spielt sich aber unter der Oberfläche ab und illustriert das bisher Gesagte. Das Nein zum jungen Franz traumatisiert und bestimmt sein Schicksal, bis er es auf den Fuchs überträgt. Die Tragik dieses Geschehens spüren zu müssen, ist die emotional belastende Zumutung des Films.

Es stellt sich die Frage, warum ein Nein so vernichtend sein kann und wie es möglich ist, dieses Nein weiterzugeben. Lebenspraktisch interessant ist die Auseinandersetzung mit dieser Dynamik, weil sie davor schützen kann, zum Träger des Traumas eines anderen zu werden, zum „Fuchs“, bzw. wie an anderer Stelle schon aufgezeigt: zum Wolf im Märchen.


Mensch-sein verwirklicht sich zwischen den Polen der Freiheit und der Gebundenheit. Frei sein bedeutet möglich sein, in Möglichkeiten meiner selbst leben. Mensch-sein ist aber immer auch Mit-Sein. Wir sind, was wir sind, immer nur in Beziehung, also mit oder gegen andere. Das Ich-und-Du ist für uns Menschen die kleinste räumliche Einheit. Kein Mensch kommt ohne ein Du zur Welt oder könnte sich auch nur einen Augenblick darin halten. Zeit unseres Lebens sind wir aufeinander verwiesen, ineinander verwoben und verstrickt. Auf dem Boden dieses dichten Gewebes des Lebens stehen uns ekstatisch aber immer wieder einzelne Du als besonders signifikant gegenüber, ihr Antlitz (Lévinas) fordert uns zur Antwort, wir treten ein in einen Dialog, der auf Vertrauen und Liebe basiert. Wo Liebe und Vertrauen verneint werden, öffnet sich das Tor zum Nichts, zum Trauma. Die Ekstasen der Begegnung und Beziehung prägen unser Selbst. Wir werden, was wir sind, im Dialog mit signifikanten Du. Dieser Dialog vollzieht sich basal und physisch bereits im Leib der Mutter und wird raffinierter, bewusster und transzendenter in der emotional-rationalen Rede und besonders im Bereich der Intimität. Wenn hier „Nein“ gesprochen wird, droht Vernichtung. Das Nein zum Du traumatisiert. Das bedeutet: aus dem potenziellen Trauma wird ein konkretes Trauma.


Die Erfahrung, dass dieses konkrete Trauma weitergegeben werden kann, hat Erklärungsbedarf. Dieser Transfer ist möglich, weil sich Leben im existenziellen Sinn nicht in Sekunden, Tagen oder Jahren misst. Die Einheit der existenziellen Zeit ist die Situation. Sie bestimmt, wo und wie ich mich befinde. Das existenzielle Leben verwirklicht sich in Situationen. Wenn dieses Leben traumatisiert, friert eine Situation ein, der fließende Übergang von Situationen in Situationen wird gestoppt und unterbrochen. Es öffnet sich eine Leere, ein „Nichts“, das aus einem Nein zum Ich-und-Du hervorgeht. Diese Leere entwickelt sich nicht. Sie verlangt nach einem Dialog, der die Leere füllt. Bis dahin saugt die traumatische Leere wie ein schwarzes Loch alle Liebes- und Beziehungsenergie an sich. Das Trauma möchte abgeholt werden. Es rührt sich nicht vom Fleck. Und es erkennt seinesgleichen. So findet Franz den Fuchs.


Es ist das Nein zum jungen Franz, das sein Schicksal bestimmt. Es wird schweigend gesprochen von denen, die er am meisten liebt. Was macht es so vernichtend? Zum einen, dass es von Menschen gesprochen wird, die ihm am meisten bedeuten, seinen Nächsten; zum anderen liegt es an der völligen Verweigerung eines Dialogs. Das Nein wird an Franz vollzogen, nicht mit ihm besprochen. Die Gewalt schweigt, sagt Safranski, und sie traumatisiert im Kind. Das Fehlen jeglicher Erklärung steigert den Grad der Vernichtung. Jahre später zieht Franz in den Krieg. Hier findet er das Du, das er verneinen muss, um sein Trauma zu übergeben und befreit weiterzuleben. Das eigentlich Tragische der Geschichte liegt darin, dass es wiederum der Nächste, der Geliebte ist, der das Trauma erfährt. Die Brücke, über die ein Trauma weitergegeben wird, ruht auf den Säulen der Liebe und des Vertrauens. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Geschichte hätten die Betroffenen ohne Zweifel geantwortet, dass sie aus Liebe handeln und nur das Beste für ihr Gegenüber wollen. Und dennoch steht am Ende das Trauma.


Es heißt: Das Schicksal erreicht dich auf dem Weg, den du eingeschlagen hast, um es zu vermeiden. So endet traumatisch, was heilend hätte sein sollen. Franz möchte am Fuchs gut machen, was ihm selbst angetan wurde und doch endet alles in der Wiederholung der Vernichtung. So wie er selbst, wird auch das Tier zuletzt Opfer eines schweigenden, sich entziehenden und den Sinn verweigernden Nein. Das Trauma wechselt den Besitzer. Was zu Beginn aussieht wie Liebe, endet in der Re-Inszenierung des Traumas. Der Eine geht in die Freiheit, der Andere in den Tod.


Im Film bricht der Blick des zurückgelassenen Fuchses, der nicht verstehen kann, was geschieht, dem Zuseher das Herz. Auch der Fuchs trägt ein Trauma in sich, den gewaltsamen Tod der Mutter. Dieses Trauma wird nun aktualisiert.


In der Trauma-basierten Liebe wollen wir zunächst am anderen heilen, was uns selbst angetan wurde. Dabei kommt der andere als anderer aber nicht in den Blick. Reife Liebe würde bedeuten, die Freiheit des anderen zu würdigen; im Bild des Films: den Fuchs auf ein Leben im Wald vorzubereiten. Vor dem Abgrund des Traumas wird der andere aber nicht um seiner selbst willen geliebt, sondern soll die Leere im eigenen Selbst füllen. Das führt bei aller Liebe zurück zum Nein. In die Re-Inszenierung der Traumatisierung.

Wenn wir also die Geschichte von Franz und dem Fuchs als Wegweiser für das Leben verstehen wollen, dann würde das bedeuten:


· Erkunde das existenzielle Nein, wenn es je zu dir gesprochen wurde. Welchen Sinn hat es gehabt, welches Du suchst du, um die entstandene Leere zu füllen?


· Prüfe deine Liebe. Ist sie nur der Versuch, Vergangenes wieder gut zu machen, oder liebst du dich und den anderen um des Ich-und-Du willen?


· Und schließlich an alle Füchse da draußen: seid ihr wirklich da, wo ihr hingehört? Oder findet ihr am Ende des Weges nur ein ums andere Mal wieder ein Nein?


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